PAGE | TEXT | ISSUE | VOLUME | ||||||||||||
22 | Vorlesungen (mit dem Brief Rosa Luxemburgs) | Heft 546-550 7. 1920 | XXII. JAHR |
— 22 —
sie gibt, wird eine Kriegserklärung darunter sein. Denn seit die
Phantasie in diesen Ersatz gesperrt ist, fehlt uns jener Platz an der Sonne, dessen Begehren im tiefsten Sinne nach der Waffe treibt, geschieht um so leichter, was schwerer vorgestellt wird, und das Wort ist ohne Verantwortung wie der Mord.Diese Vorrede möchte ich für Prag in einem Punkte
ergänzen. Den Krieg vergessen können, ist ein Unglück. Aber es ist kein Glück, den Sieg nicht vergessen zu können. Furchtbar sich selbst werden jene, die vom Krieg nichts weiter wissen wollen, als daß sie gesiegt haben. Es ist mir zwei Jahre lang zu schwer gefallen, im Machtbereich solcher zu sprechen und dem Befreiten eben das zu sagen, was dem Unterdrückten zu sagen Lust und die Ehre geteilter Gefahr gewesen. Wohl, die Phantasie holt sich einen eiskalten Schauder und keine faßbare Vorstellung von dem Erwägen der Möglichkeit, daß die Besiegten gesiegt hätten, und von der Ahnung der Greuel, die den Leibern und den Geistern, Gott und der Kreatur dann angetan worden wären. Trotzdem müssen wir, die das vor allen gefühlt haben, bekennen, daß wir uns diesen Sieg anders vorgestellt haben. Denn wir hatten ihn uns als den Sieg des Menschen über die Waffe, aber nicht als den Sieg der Waffe über den Menschen gedacht. Nun ist der Sieger aufs Haupt geschlagen und der Besiegte erlebt den Triumph, daß seine niederträchtige Maxime, den Menschen zum Instrument des Instruments zu machen, als das kulturelle Vorbild eines nachtgeweihten Abendlandes ersteht und die Schmach, die auszurotten Berge von Knochen und Meere von Blut gekostet hat, als der giltige Zustand der Welt. Es ist wohl ein physikalisches Gesetz dieser unrettbaren, durch Schaden noch verdummenden Menschheit, daß, wer jeweils obenauf ist, den jeweils Unterlegenen treten muß. Optimisten mögen es Übergangserscheinung nennen — ein Nörgler erkennt es als die des Untergangs. Nur Österreich erscheint ihm nach manchem, was er in acht hiesigen Tagen erfahren hat, nicht untergegangen und er fühlt sich wie einst, wie den ganzen Krieg hindurch, in Österreich als lästigen Ausländer. Er fürchtet vor allem, die Welt werde bald in allen Sprachen deutsch gelernt haben. Nein, preußisch. Das ist jene fluchwürdige Zweckdienlichkeit des Menschentums, das ist die Mobilisierung der Lebensgüter